Literarisches Quartett 8AT
8AT, Dezember 2022
In Gruppen wählten die Schüler*innen der 8AT von mir vorgeschlagene Bücher der österreichischen (Gegenwarts-) Literatur. Auch ein deutsches Jugendbuch hat sich dazu geschwindelt:
Peter Henisch: Die kleine Figur meines Vaters
Thomas Arzt: Die Gegenstimme
Rüth Klüger: weiter leben
Sarah Jäger: Die Nacht so groß wie wir
Wolf Haas: Junger Mann
Die Schüler*innen hatten den Auftrag, die Texte zu lesen. Zunächst verfassten sie einzeln dazu eine Reflexion, in der es darum ging, den persönlichen Zugang zum Text zu dokumentierten. Anschließend sollten sie das Buch in Gruppen in einer Unterrichtseinheit (ohne Vorgaben) den Klassenkolleg*innen vorstellen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Was besonders hervorzugeben ist, waren die unterschiedlichen kreativen Zugänge, bei denen auch die Zuhörenden aktiv sein konnten.
Diesen Text zur „Gegenstimme“ finde ich besonders gelungen. Er sei hier angeführt.
Reflexion – „Die Gegenstimme“ von Thomas Arzt
„Die Gegenstimme“ – Eine interessante Geschichte, spannend erzählt.
In seinem Roman „Die Gegenstimme“ schildert Thomas Arzt die Vorkommnisse des 10. April 1938, einem Wahlsonntag, in einem kleinen Dorf. Die Bewohner stimmen geschlossen für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Abgesehen von einer Gegenstimme.
„Geht der Bleimfeldner Karl, geht er die Ortsstraße hinan.“ Bereits die Anfängssätze des Buches machen klar, dass es in den folgenden Seiten nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch sprachlich genauso anspruchsvoll wie interessant wird. Arzt setzt bewusst das Verb an den Anfang, in den Folgesätzen lässt er es manchmal ganz weg. Der Autor verwendet kräftige Situationsschilderungen, direkte Reden im Dialekt und innere Monologe. Diese abgehackten, unvollständigen Gedankensprünge machen es einem jedoch nicht leicht, Freude am Lesen zu verspüren. Es ist oft mühsam, vor allem nach längerer Lesepause, in diesen Schreibstil hineinzufinden. Arzt verzichtet auf unnötige Füllwörter. Er beschreibt die Situationen kompakt, präzise und doch nicht zu knapp. Thomas Arzt zeigt in diesem Buch, wie geschickt er auch Situationen, Szenen und Stimmungen entwickeln kann. In diesem Roman spielt das Motiv des Mitläufers eine nicht unwichtige Rolle. Arzt versteht es, die einzelnen Gründe dieser Opportunisten verständlich darzustellen.
Mir hat gut gefallen, wie der Autor die Szene der Abstimmung beschreibt. Als alle mit stolz geschwellter Brust ihr „Ja“ präsentieren, nimmt Karl als Einziger das Wahlgeheimnis wahr und stellt sich zur Stimmabgabe hinter den Vorhang. Natürlich bleibt seine Wahl nicht geheim. Kurz darauf jagt eine Meute von Hitlersympathisanten den „Verweigerer“ in den Wald. Die Darstellung des wütenden Mobs, wie er jedweden Verstand durch Überzeugung, Angst, Verzweiflung und Mitläufertum verliert, ist ein Hochgenuss in literarischem Sinne. Jedoch überwiegt meist die Anstrengung aufgrund der gewöhnungsbedürftigen Schreibweise, die es einem oft schwer macht, der Handlung zu folgen. Das Lesen verhält sich nicht, wie eine leichte Feder, die von einer leichten Brise von Wort zu Wort geblasen wird. Man fühlt sich eher wie ein großer, massiver Felsbrocken, der einen Hang hinunterrollt und dabei alle Pflanzen und Tiere auf seinem Weg vernichtet.
Abschließend lässt sich sagen, dass „Die Gegenstimme“ von Thomas Arzt wohl eine Bereicherung der persönlichen literarischen Bildung ist. Nichtsdestotrotz ist diese Lektüre keine leichte. Ob man diese Bürde nun auf sich nimmt oder bei leichter, konventionell-unterhaltsamer Literatur bleibt, ist einem selbst überlassen. Was bleibt, ist ein spannender und anspruchsvoller Roman über die Auswüchse des Nationalsozialismus in Österreich. Ich glaube, es ist die Aufgabe eines jeden, egal ob jung oder alt, sich mit der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in unserer Landesgeschichte auseinanderzusetzen. In diesem Sinne kann ich dieses Buch nur empfehlen.
Moritz W., 8AT
Handout Die kleine Figur meines Vaters
Handout Die Gegenstimme
Handout Die Nacht so groß wie wir
Handout Junger Mann