Oral History
4D, April 2012
 

Nachdem sich die Schülerinnen und Schüler der 4D im GSK-Unterricht ausführlich über die Zeit des NS-Regimes zwischen 1933 und 1945 informiert hatten, starteten sie das Projekt „Interview mit einem Zeitzeugen“.

Was als „Mission Impossible“ begann, sollte sich bald zur „Jagd nach dem verlorenen Zeitzeugen“ auswachsen. War es vor 10 bis 20 Jahren noch relativ leicht, Interviewpartner zu finden, so machten die mit Unmengen Fragen ausgestatteten Reporter(innen) der 4D die Erfahrung, dass es leider nicht mehr allzu viele Zeitzeugen aus jener Epoche gibt. Wer keine Verwandten oder Bekannten ausfindig machen konnte, begab sich kurzerhand ins nächste Seniorenheim, wo  wahre „Schätze“ darauf warteten, entdeckt zu werden.

Von den termingerecht abgegebenen Berichten beeindruckte mich persönlich ganz besonders der Zeitzeuge von Julia. Er ist KZ-Überlebender und schildert seine Erlebnisse folgendermaßen:

„Wir mussten um vier Uhr morgens aufstehen. Geweckt wurden wir durch einen Pfiff aus der Trillerpfeife. Wenn man dann nicht sofort aus dem Bett sprang, wurde man hart bestraft.  …  Die Aufseher hatten immer irgendwelche unsinnigen Beschäftigungen für uns, z.B. das gesamte Fenster auszuhängen um zu lüften, anstatt es einfach zu öffnen.   …   Danach mussten wir zum Appell am Vorplatz antreten, der zwischen zwei und drei Stunden dauern konnte.   …  Das Mittagessen bestand aus einer Scheibe meist schimmligem Brot und wenn es hoch kam einen Becher Ersatzkaffee.  …  Auch unser Schlaf wurde durch etliche Schikanen verkürzt. Zum Beispiel kam irgendjemand auf die Idee, man müsse um Mitternacht eine Entlausung durchführen.  …  Ich sah etliche meiner Freunde sterben und konnte ihnen nicht helfen. Heutzutage kann sich so etwas niemand mehr vorstellen. Es war einfach grauenvoll.“

Sehr erschütternd war auch das sehr ausführliche Interview, das Sebastian führte. Sein 92jähriger Zeitzeuge war an der Ostfront und musste während einer Fahrt im Jeep miterleben, wie ein russischer Flieger sie unter Beschuss nahm, sein Beifahrer am Kopf getroffen wurde, die Schädeldecke einfach wegflog und er den Pulsschlag im Gehirn sah. Der Anblick war so schlimm, dass er bewusstlos wurde. Er selbst war sehr oft in Lebensgefahr und wurde dreimal schwer verwundet. Dass er überlebte, verdankt er seiner Armbanduhr: beim Fluchtversuch aus russischer Kriegsgefangenschaft wurde er von einer MG-Kugel am Arm getroffen, doch an der Stelle war seine Uhr. Sie rettete ihm das Leben und man sieht die Narbe heute noch…

Bericht: Gudrun Mitter

 

Im Folgenden kommen einige  4D – Historiker(innen) persönlich zu Wort.

Joel: Mein 1931 geborener Zeitzeuge stammt aus dem Sudetenland und er und seine Familie freuten sich sehr über den Einmarsch Hitlers, da sie vorher furchtbaren Schikanen durch das tschechische Regime ausgesetzt waren. Alle standen am Straßenrand und jubelten den deutschen „Befreiern“ zu.   ….. Seine besten Freunde waren Juden und anfangs wusste man nicht, warum diese einfach verschwanden. Später kamen dann Informationen über Konzentrationslager und Todesfälle.   ….. Bei einem Aufenthalt in Wien sah er Juden, die die Straße kehren mussten. Wer aufschaute, wurde geschlagen und misshandelt. Die Vorübergehenden amüsierten sich zum Teil köstlich über das Spektakel, auch Frauen und Kinder waren dabei. ….. Als der Mann seiner Schwester an der Front in Russland war, wollte er ein Loch im Bunker schließen, um sich und seine Kameraden zu schützen. In dem Augenblick, als er den sicheren Bunker verließ, wurde er von einem russischen Scharfschützen erschossen.   

Jakob R.: Meine Zeitzeugin war 1944 14 Jahre alt und wollte in Graz mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Plötzlich ging der Fliegeralarm los und die Straßenbahn wurde gestoppt. Alle Fahrgäste rannten in nahegelegene Luftschutzkeller und warteten fünf Stunden auf engstem Raum, bis wieder Entwarnung gegeben wurde. Die Freundin meiner Zeitzeugin, die sich noch eine Fahrkarte besorgen musste, kam bei diesem Angriff ums Leben und wurde erst drei Tage später tot unter den Trümmern entdeckt.

Christoph: Die Sonntagsspaziergänge meiner Familie führten immer entlang der Eisenbahngeleise. Falls ein Zug ein Stückchen Kohle verloren hatte, wurde  dieses aufgesammelt und wie ein kostbares Gut nach Hause getragen, um Brennmaterial zu haben.

Isidora: Ich berichte  über eine Frau, die heute 86 ist und damals im 2. Weltkrieg 19 Jahre alt war. Sie lebte im Krieg im damaligen Sudetenland und war kein Mitglied der NSDAP, doch sie war Mitglied im BDM. Ihr Bruder und ihr Mann waren an der Front, also war ihre persönliche Situation nicht sehr einfach, da sie jetzt nur mit ihren zwei Kindern und ihrer Mutter leben musste. Sie hatten kein Geld, wenig Essen und fast nichts zum Anziehen. Daher freuten sie sich, dass Hitler gekommen war, denn er machte ihre Situation leichter.
Nur einmal war sie Opfer von Bombenangriffen und musste nach Deutschland fliehen. Ihr Haus wurde zerstört, alles war weg. Sie musste ein paar Monate im Wald leben und konnte sich dort meistens nicht waschen, außer sie fand einen Fluss oder einen Bach.  Einmal stand sie in Lebensgefahr wegen der Russen, die ihr ihr letztes Brot wegnehmen wollten, doch sie gab es ihnen nicht. Der Russe wollte sie fast erschießen, doch dann tat er es nicht und marschierte weiter.
Die Frau kannte einen Mann und eine Frau, die hingerichtet wurden. Die Frau wollte ihre letzten Schweine nicht hergeben, dann schossen ihr die Soldaten in den Kopf. Der Mann wurde aufgehängt.

Sigrid: Ich habe meine heute 82-jährige Großmutter, Anna H., über den zweiten Weltkrieg befragt. Beim Anschluss an das Deutsche Reich war sie 8 Jahre alt. Da sie in Kirchdorf lebt und auch damals schon dort lebte, war sie ab 1945 in der Besatzungszone der Amerikaner. Sie war nicht in der Hitlerjugend, sondern in der Pfarrjugend, da ihre Familie auch oft in die Kirche ging. Meine Oma musste schon sehr früh arbeiten, aber nicht für den Krieg. Sie lebte auf einem Bauernhof und dort gab es auch während der Kriegszeit viel Arbeit. In dieser Zeit nahmen sie ein paar Russen und Polen auf, die auf ihrem Hof arbeiten mussten. Sie hatten natürlich auch Tiere, durften aber nur eine bestimmte Anzahl an Schweinen oder Kühen schlachten. Sie erzählte mir, dass sie immer ihre Fenster zukleben mussten, um zu verhindern, dass die Feinde sie sahen und mit Bomben bewarfen. Sie hatte Glück und wurde wirklich nie Opfer von Bombenangriffen.
Einige Verwandte oder ihr bekannte Männer mussten in den Krieg ziehen. Manche wurden getötet, und die Verwundeten wollten alle nichts Genaueres erzählen. Auch ein paar  behinderte Menschen in ihrer Umgebung wurden umgebracht. Es wollte aber niemand wahr haben, was da passierte.
In der Schule wurden sie nicht viel über den Krieg informiert, auch über den schlimmen Atombombenabwurf in Hiroshima und Nagasaki wurden sie nur ein wenig über Radio und Zeitungen informiert. Über die  Konzentrationslager wusste niemand Bescheid. Sie wussten nur, dass es eine Art Gefängnis für Ausländer gab.

Alexandra: Ich habe einen Nachbarn interviewt. Er wird 90 Jahre alt, erinnert sich aber trotzdem sehr gut an die Zeit des 2. Weltkriegs. Er stammt aus eher ärmlichen Verhältnissen und wohnte zu Kriegsbeginn in Niederösterreich. 1941 wurde er im Alter von 18 Jahren zum RAD (Reichs-Arbeits-Dienst) eingezogen.
Dort musste er im Jugoslawienkrieg die zur Tarnung im Gelände weit verstreuten Fahrzeuge beladen. Sie leisteten Schwerstarbeit um die Munitions- oder Waffenkisten zu schleppen.
Er war auch in der Panzerschlacht bei Orel, in der sich 2400 Panzer gegenüberstanden. Er wurde jedoch rechtzeitig abkommandiert.
Er war auch kurz in Schlesien an der Ostfront, bevor er in Tschechien in Kriegsgefangenschaft geriet.  Das Essen bekamen sie aus gewaschenen Benzinkanistern. Es bestand aus gekochtem Mais oder anderen Dingen, die die sowjetischen Soldaten bei ihrer Plünderung fanden.
Er hat während der Kriegsgefangenschaft  vieles durchgemacht und trotzdem ist ihm ein Ereignis besonders in Erinnerung geblieben. Er erzählte mir, dass er am Balkan kurzfristig als Begleitschutz eines Oberst dienen musste. Eines Nachts mussten sie in einem kleinen Gefährt durch die menschenleeren, muslimischen Städte der Umgebung fahren. Durch den Schein des Mondes bot sich ihnen ein erschütternder Anblick! Es waren kaum noch Straßen zu erkennen und sämtliche Häuser lagen in Trümmern. Er hatte Angst,  jede Sekunde von einem Haufen Partisanen überfallen zu werden, denen sie schutzlos ausgeliefert gewesen wären, aber es war keine Menschenseele mehr dort! Er fügte hinzu, dass ihm bis heute jedes Mal, wenn er an dieses Ereignis denkt, ein Schauer über den Rücken läuft.

Theresa: Am Beginn des Krieges war mein Urgroßvater 26 Jahre alt und lebte mit seiner 19-jährigen Frau Franziska in Ternitz. Er arbeitete bei der Firma Schöller Bleckmann und seine Frau bei Semperit. Sie arbeiteten beide in Firmen, die sehr wichtig für den Krieg waren, deshalb musste er sehr lange nicht an die Front, obwohl er Mitglied der NSDAP war. Als er dann doch in den Krieg ziehen musste, musste er sich in Wien von seiner Familie verabschieden. Von dort kam er nach Polen. Mein Urgroßvater wurde im Krieg auch verletzt, er wurde von Granatsplittern getroffen und in einem Lazarett medizinisch versorgt. Beim Endkampf in Berlin wurde er von den Amerikanern gefangen genommen und kam ins Kriegsgefangenenlager in Kiel. Dort konnte er jedoch  ausbrechen und flüchtete bis nach Salzburg. In Attnang-Puchheim wohnte er eine Zeit lang und suchte sich eine Arbeit, da er als NSDAP-Mitglied nach dem Krieg nicht mehr in seine von den Russen besetzte Heimat zurück konnte. Er wurde ein zweites Mal von den Amerikanern gefangen genommen und dieses Mal ins Anhaltelager nach Glasenbach bei Salzburg gebracht. Dort kam er nach 1 ¼ Jahren wieder frei und die Familie war endlich wieder vereint.
Während er im Krieg war, wurde seine Familie von Ternitz nach Tirol evakuiert, da es in Tirol weniger Bombenangriffe gab. Die Zeit dort war sehr entbehrungsreich, da sie auf die Hilfe der Dorfbewohner angewiesen waren und fast nichts hatten. Als sie im Dezember 1945 wieder zu ihrem Haus zurückkamen, wohnte schon jemand anderes dort, deshalb zogen sie zu einer Oma, die in ihrer Wohnung geblieben war. In dieser Wohnung wohnten auch mehrere russische Offiziere, doch die waren sehr nett zu der Familie und brachten oft frische Nahrungsmittel. Vor allem die Kinder wurden von den Russen sehr verwöhnt, sie bekamen oft Schokolade oder andere gute Sachen von ihnen geschenkt. Nach der glücklichen Heimkehr des Vaters zog die Familie nach Linz, wo mein Urgroßvater in der Voest Arbeit bekam.

Astrid: In einem Altersheim befragte ich eine sehr nette Frau namens Theresia P. über ihre Erlebnisse im Zweite Weltkrieg.
Zum Zeitpunkt des Anschlusses an Österreich war sie 23 Jahre alt und arbeitete bei der Polizei. Sie erzählte mir, dass sie seit dem Anschluss nicht mehr „Grüß Gott“, sondern „Heil Hitler“ sagen mussten. Sie war kein Mitglied im Bund der Deutschen Mädchen oder der NSDAP, doch sie erklärte mir, dass viele nur bei der Partei waren, weil sie sonst keinen Beruf bekamen. Da sie bereits einen guten Beruf hatte, war das für sie nicht wichtig. Mit 24 wurde sie nach Berlin einberufen. Durch ihren Arbeitsplatz wurde Theresia in den Krieg miteinbezogen, da die Polizei der SS angehörte.
Sie sah Hitler und war sehr neugierig wie er aussah, so wie wir heute neugierig sind, wenn wir einen berühmten Popstar das erste Mal sehen.
Theresia war zweimal in Kriegsgefangenschaft. Einmal in Tschechien und einmal in Russland. In Tschechien wurde sie gefoltert. Sie wurde mit vielen Menschen in einen viel zu kleinen Keller gesperrt, dort wurde dann Wasser hineingelassen und keiner wusste, ob das Wasser nur bis zum Bauch oder bis zur Decke gehen würde. Durch die Angst brachen viele zusammen und ertranken.
Die Gefangenen mussten Arbeit leisten, wie zum Beispiel Straßen erneuern. Theresia erzählte mir, dass es Leute gab, die den Arbeitenden ein Stückchen Brot zuwarfen. Manche Aufseher sahen darüber hinweg, doch es gab auch welche, die einfach auf das Brot stiegen und es zerquetschten.

Dann kam sie nach Russland, wo die Umstände noch schlechter waren:
• Vergewaltigungen, von denen sie heute noch Albträume hat. Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, konnte sie das melden, worauf sich die Männer in einer Reihe aufstellen mussten und die Frau musste sagen, wer sie vergewaltigt hatte. Dieser wurde vor allen anderen erschossen.
• Keine Waschmöglichkeiten
• Kein Bett, weswegen sie mit anderen Gefangenen im Wald schlafen musste
• Kein Essen, außer das, was sie im Wald fanden: Mäuse mit Grasblättern, Birkenrinde, Tannen- und Fichtennadeln,..

Theresia schaffte es, zu fliehen. Der Weg zurück nach München war schwer. Sie musste Breit- und Spitzwegerich und andere Sachen von Wald und Wiesen essen und sie war froh, wenn sie einen Bach fand um sich darin zu waschen.
Als sie zu Hause ankam, erkannte ihre Familie sie zwar, doch sie sah sehr verwahrlost aus, war abgemagert und hatte Flöhe und Läuse.
Heute ist Theresia 96 Jahre alt. Sie hat viel erlebt, doch sie ist auch heute noch sehr fit.
Und was ihr sehr wichtig ist: Es gibt immer gute und schlechte Menschen. Man soll jeden neuen Menschen betrachten als wäre er ein Freund. Erst dann kann man sich eine Meinung zu diesem Menschen bilden.

 


letzte Aktualisierung: 26.04.12

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